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Dem Glück einen Stuhl hinstellen

Wegbegleiterin würdigt Schriftstellerin und Übersetzerin Mirjam Pressler

Hoch über Kranichstein nehmen sie die Mirjam-Pressler-Straße in Augenschein: (v.r.) Gila und Tall Pressler sowie Ellen Presser mit Mitgliedern des Vorstandes der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit. (Foto: dv)

„Wenn das Glück kommt, muss man ihm einen Stuhl hinstellen.“ So der Titel eines der Bücher, die Mirjam Pressler geschrieben hat. Zugleich ist dieser Titel ein gutes Motto für ihr eigenes Leben: nicht bei den Scherben und Brüchen zu verharren, sondern immer wieder aufzubrechen. Sie hatte ein Herz für schwieriges Leben – und besonders für das von Kindern und Jugendlichen. Dort sind es die Außenseiter, denen sie eine Stimme verlieh. Ihre Bücher machen Mut aus Scherbenhaufen aufzubrechen und bieten Perspektiven. So schilderte sie ihre langjährige Wegbegleiterin und Freundin Ellen Presser („wie Pressler, nur ohne ‚l‘“), Leiterin des Kulturzentrums der Israelitischen Kultusgemeinde München. Sie freute sich Anfang September über die große Resonanz, die die Vorstellung und Würdigung Mirjam Presslers fand, zu der fast 100 Besucherinnen und Besucher in die Philippuskirche im Ökumenischen Gemeindezentrum Kranichstein gekommen waren.

Mirjam Pressler wurde 1940 in Darmstadt geboren. Es war eine eher schwierige Kindheit in dieser Zeit: als uneheliches Kind einer jüdischen Mutter, aufgewachsen in einer Pflegefamilie an der Bergstraße, ohne Nestwärme. Nach der Schule studierte und lebte sie in Frankfurt und München, später in Landshut, wo sie 2019 starb.

Nach einem Jahr im Kibbuz in Israel kehrte sie nach Deutschland zurück. Als Bestes ihrer gescheiterten Ehe sah sie ihre drei Töchter. Für den Lebensunterhalt sorgte die alleinerziehende Mutter mit Taxifahren und Jobben. „Bücher sind teuer. Darum schrieb sie unsere Mutter selbst.“, gab eine ihrer Töchter zum besten. Bereits Mirjam Presslers Erstlingsroman „Bitterschokolade“ um ein pummeliges Außenseitermädchen war 1980 erfolgreich. Der Roman wurde mit dem „Oldenburger Jugendbuchpreis“ ausgezeichnet. „Das Besondere: die Auszeichnung kam von Jugendlichen.“, bemerkte Ellen Presser. Über 50 Bücher folgten, ebenso zahlreiche Preise und Auszeichnungen. Daneben übersetzte sie über 300 Bücher ins Deutsche, unter anderem aus dem Niederländischen, Hebräischen und Englischen, darunter Bestseller bekannter jüdischer Autoren wie Amos Oz. „Sie war eine begnadete Übersetzerin, die die Feinheiten der jeweiligen Sprache kannte und den richtigen Ton in der Übersetzung traf“, merkte Laudatorin Presser an.

Für ihren „herausragenden Einsatz für die Völkerverständigung insbesondere zwischen Israel und Deutschland und die Erinnerung an das nationalsozialistische Unrecht“ erhielt Pressler das Bundesverdienstkreuz. „Gerade heute gelte es gegen den unverfroren geäußerten Antisemitismus klar Stellung zu beziehen.“, wünschte sich Ellen Presser und zeigte sich erfreut, dass die Würdigung Presslers in einem Kirchraum erfolgte.

Aus Mirjam Presslers letztem Roman „Dunkles Gold“ lasen ihre Töchter Gila und Tall Pressler an diesem Sonntagabend in der Philippuskirche. Die Romane ihrer Mutter seien so eindringlich und emotional dicht geschrieben, dass sie auch heute noch beim Lesen zu Tränen gerührt werde, bekannte Tall Pressler.

Die Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit, die Elisabeth-Langgässer-Gesellschaft, die Gesellschaft zur Pflege und Verbreitung deutschsprachiger jüdischer Dichtung hatten Mirjam Pressler bereits 2020 würdigen wollen, mussten das aber wegen Corona aufschieben. Jetzt erfolgte die Hommage im Ökumenischen Gemeindezentrum. Im Frühjahr war eine Straße in Kranichstein nach Mirjam Pressler umbenannt worden. Sehr gerührt bekannte eine Frau, die in der Mirjam-Pressler-Straße wohnt, am Ende des Abends: „Die Umbenennung war und ist für uns mit viel Aufwand verbunden… Mitunter merkt man erst hinterher: Es ist gut.“ Dass der Prozess der Umbenennung samt der als Farce empfundenen Bürgerbeteiligung in Kranichstein Unmut und Ärger hervorgerufen hat, ist eine andere Geschichte – und hat nichts mit Mirjam Pressler zu tun.